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Workflows: Wenn Digitalisierung aus 2 Papierseiten 20 macht

Workflows: Wenn Digitalisierung aus 2 Papierseiten 20 macht - Golem Karrierewelt

(Bild: Rosmarie Voegtli/CC-BY 2.0)

Ein Erfahrungsbericht von Markus Kammermeier veröffentlicht am 1

Die Digitalisierung von Prozessen scheitert selten an der Technik. Oft ist es Unwissenheit über wichtige Grundregeln, die Projekte nach hinten losgehen lässt - ein wichtiges Change-Modell hilft dagegen.

Ich stehe in der Mittagssonne auf dem Messeplaza in Stuttgart. Mit dem Handy in der Hand gehe ich auf und ab. Ich sollte in der Messehalle sein, aber das ist jetzt gerade unwichtig. Am Telefon ist mein derzeit größter Kunde, mit dem ich gerade als Projektleiter ein Digitalisierungsprojekt umsetze. Was der Kunde über die ersten Erfahrungen berichtet, lässt mich stark an meiner Kompetenz als Experte für Digitalisierung zweifeln. Wir haben es tatsächlich geschafft, aus zwei Seiten Papier durch einen digitalisierten Workflow mehr als 20 Seiten Papier zu machen. Die Technik läuft einwandfrei und doch verläuft der Prozess alles andere als geplant. Was ist passiert?

Erst später wird mir klar, dass neue Software-Tools alleine niemals Probleme lösen. Unseren Fehler hätten wir vorhersehen können, wenn wir einige Grundregeln in Veränderungsprozessen beherzigt hätten.

Eine gute Idee ...

Das Projekt startete verheißungsvoll: Die Aufgabenstellung war es, einen Prozess für die Materialstamm-Anlage zu digitalisieren. Für die Logistik ist der Materialstamm eine heilige Kuh. Wenn die Stammdaten korrekt sind, können Arbeitsvorbereitung, Planung, Fertigung und Logistik darauf aufbauen. Fehler im Stamm führen oft zu Fehlplanungen, Fertigungsstillstand und Lieferengpässen. Mit dem Materialstamm beginnt das Endprodukt. Daher ist die richtige Erfassung aller Informationen so wichtig.

Unser Kunde stellt komplizierte Industrieprodukte her, die in mehreren Schritten gefertigt, bedruckt und verpackt werden. Beim Start des Projekts gab es einen einfachen digitalen Laufzettel in Excel. Die Datei wurde zentral auf einem Server abgelegt. Dort konnten alle Abteilungen ihre Informationen erfassen. Sobald alles eingetragen war, konnte das neue Material im System angelegt werden. Das Problem: Für ein neues Produkt müssen acht Abteilungen ihre Informationen bereitstellen. Keiner wusste, wann er dran war. Außerdem sperrten sich die Mitarbeiter ständig gegenseitig. Vom Start des Prozesses bis zum neuen Materialstamm vergingen mehrere Wochen. Das sollte unser Projekt verbessern.

Wir konzipierten einen durchdachten und effizienten Workflow. In einem elektronischen Prozess wurden die notwendigen Informationen von den unterschiedlichen Abteilungen abgefragt. Bearbeiter wurden automatisch gefunden. Verzögerungen wurden automatisch eskaliert. Ein moderner Workflow mit schicken Oberflächen. Alles webbasiert und auf dem neuesten Stand der Technik. Im Projektteam arbeiteten wir mit fünf Personen. Wir übernahmen die Umsetzung - der Kunde übernahm den Rollout in den Fachbereichen. Aus dem zweiseitigen Laufzettel war ein digitaler, webbasierter Prozess geworden. Nach einer erfolgreichen Testphase gingen wir wie geplant und pünktlich mit dem neuen Prozess an den Start.

... bringt nichts, wenn die Anwender sie nicht annehmen

Einige Tage später auf dem Messeplaza berichtete mir unser Kunde von den ersten Erfahrungen: "Technisch läuft alles super - allerdings drucken sich die Bearbeiter die Webmaske nach der Bearbeitung aus und legen sie neben den Rechner. Jeder Ausdruck produziert sechs Seiten Papier!" Ich bin irritiert: "Warum tun die Anwender das?" - "Manchmal fehlen noch einzelne Informationen und sie erinnern sich mit dem Ausdruck an offene Aufgaben." Die Anwender druckten nun also in jedem Schritt die gesamte Erfassungsmaske aus, um am nächsten Tag an das To-do erinnert zu werden.

Nach einigen Wochen, mit einigen Schulungen und viel Überzeugungsarbeit können wir das wieder geradebiegen. Aber ich bin frustriert. Musste das so laufen? Unser Projektplan war sauber, unsere Technik lief und auch Schulungsmaterial war vorhanden. Wie hätten wir die Anwender besser vorbereiten können?

Wir hatten die Anwender und deren Befürchtungen aus den Augen verloren. Als Spezialisten für neue Technologien und effiziente Prozesse haben wir es verpasst, Organisation und Kultur zu berücksichtigen. Heute weiß ich, dass erfolgreiche IT-Projekte diese vier Elemente berücksichtigen: Technik, Prozesse, Organisation und Kultur.

Logical Levels of Change von Robert Dilts (Bild: Markus Kammermeier)

Logical Levels of Change von Robert Dilts (Bild: Markus Kammermeier)

Logical Levels of Change von Robert Dilts (Bild: Markus Kammermeier)

Logical Levels of Change von Robert Dilts (Bild: Markus Kammermeier)

Technik umfasst die Software, die Hardware und die Umsetzung der IT-Lösung. Prozesse beschreibt den Geschäftsprozess, also die notwendigen Schritte, Aktivitäten und deren Abfolge. Organisation setzt sich zusammen aus der Ablauf- und Aufbauorganisation, also Rollen, Stellen und deren Zusammenspiel. Unter Kultur & Mindset verstehen wir alle Verhaltensmuster, Befürchtungen und Kompetenzen der Anwender - all die Themen, die meistens unter der Oberfläche köcheln.

Typische IT-Projekte konzentrieren sich auf die linke Seite (Technik und Prozesse) und vernachlässigen die rechte Seite (Organisation und Kultur). Dabei verhält es sich wie mit dem Zusammenspiel der beiden Gehirnhälften: Nur wenn beide Seiten gut miteinander vernetzt arbeiten, können wirklich erfolgreiche Lösungen erdacht werden!

Um das greifbar zu machen und vor allem konkrete Handlungen abzuleiten, betrachten wir im Folgenden ein nützliches Modell für den Umgang mit Veränderungen.

Ein Modell für Veränderungen

Veränderungen geschehen auf unterschiedlichen Ebenen. Das folgende Modell mit dem Namen Logical Levels of Change oder zu Deutsch Die logischen Ebenen der Veränderung wurde Mitte der 80er Jahre von Robert Dilts geprägt. Es beschreibt mehrere Ebenen, auf denen Veränderungen ablaufen. Die untere Ebene beschreibt die Umgebung. In IT-Projekten schaffen wir eine neue Umgebung durch neue Werkzeuge, neue Software und neue Prozesse. In meinem Workflow-Projekt haben wir durch neue Webmasken eine neue Arbeitsumgebung für die Anwender geschaffen.

Die zweite Ebene erfasst das Verhalten, also die Arbeitsschritte, die durch Anwender durchgeführt werden sollen. Unser Ziel war es, dass die Anwender ihre Arbeitsweise anpassen: Statt Daten in einer Excel-Datei auf einem Server einzutragen, sollten sie auf ein Work Item warten und Daten in einer Webmaske eingeben. Meist erwarten wir in IT-Projekten eine Veränderung auf dieser zweiten Ebene: Wir möchten eine neue Arbeitsweise umsetzen.

In der dritten Ebene werden Kenntnisse und Fähigkeiten zusammengefasst. Sie beschreibt das Know-how der Anwender bei der Nutzung der Tools beziehungsweise bei der Ausführung des Arbeitsschrittes. In Projekten schicken wir Anwender zu Trainings, um diese Ebene zu bedienen. In unserem Workflow-Projekt sind wir davon ausgegangen, dass die Anwender intuitiv mit den neuen Werkzeugen arbeiten. Wir haben ihnen unterstellt, dass das notwendige Wissen bereits in ihnen schlummert.

Ganz schön naiv? Wahrscheinlich waren wir das.

"Kill your expectations!" - mit dieser Haltung sollten wir in alle Projekte einsteigen. Wir dürfen nicht von unseren eigenen Vorstellungen ausgehen, sondern müssen die Anwender dort abholen, wo sie stehen. Das klappt nur, wenn wir die übrigen Ebenen der Pyramide ebenfalls beachten.

Über den "Kenntnissen und Fähigkeiten" liegt die Ebene der Werte und Glaubenssätze. Sie fasst all das zusammen, was Menschen wichtig ist und woran sie glauben. Jeder von uns glaubt an andere Dinge. In Süddeutschland glauben wir an ein Weißwurst-Frühstück. Ein Raucher glaubt an die Entspannung durch eine Zigarettenpause. Und manche IT-Experten glauben an die Unfehlbarkeit von Linux.

Richtig und falsch sind hier nicht wichtig. Was die Menschen für richtig halten, können wir in den Projekten meist nicht beeinflussen. Allerdings: Wenn wir Glaubenssätze erkennen, können wir damit arbeiten. Für IT-Projekte ist der Glaubenssatz "Neue Software macht uns besser" nützlich. Der Glaubenssatz "Jede neue Software verursacht neue Probleme" ist dagegen hinderlich.

Glaubenssätze und Identität berücksichtigen

Für die Anwender in unserem Projekt war scheinbar klar, dass wir mit der neuen Lösung ihren Alltag komplizierter machen. Nach etlichen schlechten Erfahrungen in anderen IT-Projekten waren sie überzeugt: "IT-Projekte bedeuten Ärger und Überstunden". Außerdem war der feste Glaube vorhanden: "Meistens funktioniert am Anfang sowieso nichts". Wir hatten es verpasst, in der Kommunikation im Projekt hier anzudocken. Die einfachste Maßnahme wäre es gewesen, im Vorfeld diese Vorbehalte offen anzusprechen: "Wahrscheinlich glaubt ihr nicht an funktionierende Software?". Immer wenn wir Vorbehalte und Latenzen ans Licht holen, können wir gemeinsam darüber sprechen. Für unseren Projekterfolg knüpfen wir an andere, nützlichere Glaubenssätze an.

Dazu können wir die folgende Ebene der Identität miteinbeziehen. Mit ihr drückt jeder Mensch seine Persönlichkeit aus. "Ich bin Schwabe" könnte eine mögliche Identität sein. Eine andere Identität könnte sein: "Ich bin erfolgreicher Arbeitnehmer". Darauf könnten wir eine Kommunikation aufbauen. Im obigen Projekt hätten wir folgenden Gedanken aufgreifen können: "Als erfolgreiche Arbeitnehmer wollen Sie alle mit effizienter Software arbeiten." Damit verknüpfen wir die Identität mit einem nützlichen Glaubenssatz.

Noch weiter oben in dieser Pyramide finden wir die Spiritualität (SEIN). Die Spiritualität beschreibt die individuelle Zugehörigkeit zu etwas Größerem. Mit diesen Ebenen kommen wir in IT-Projekten meist nicht in Kontakt.

Jetzt kommt die wichtige Botschaft aus diesem Modell.

Um eine Veränderung auf einer Ebene zu erreichen, müssen wir mindestens eine Stufe höher ansprechen. Um neues Verhalten zu lernen, müssen wir neue Fähigkeiten trainieren. Um neue Fähigkeiten trainieren zu können, brauchen wir förderliche Glaubenssätze.

Übertragen wir die einzelnen Bausteine auf unser Workflow-Projekt: In einem Kick-off mit den Anwendern nutzen wir diesen Grundgedanken: "Als erfolgreiche Arbeitnehmer wollen Sie alle mit effizienter Software arbeiten." In der Folge zeigen wir, wie die neue Lösung die Effizienz im Arbeitsalltag der einzelnen Anwender verbessert: "Statt auf gut Glück Daten in ein Excel-Sheet zu pflegen, werden Sie bald durch das System an ihre ToDos erinnert!". Damit haben wir eine Basis für die sinnvolle Gestaltung der Schulungsmaßnahmen: "Um davon profitieren zu können, bieten wir vor der Einführung verschiedene Trainingsmaßnahmen an".

Mit dieser Kommunikation als Basis hätten wir die Anwender früh abholen können. Darauf können wir die Planung für die Kommunikation und die Unterstützung im Projekt aufbauen.

Projekte scheitern, wenn die Akzeptanz fehlt

Ein zweites Beispiel: Um die IT-Sicherheit zu verbessern, werden in einem Unternehmen die Kennwortrichtlinien verschärft. Die Verschärfung der Kennwortrichtlinien verändert die Umgebung. Die Anwender werden nicht aufgeklärt. Am nächsten Arbeitstag erscheint lediglich die Meldung "Bitte ändern Sie Ihr Kennwort!". Bei vielen Anwendern in diesem Beispiel besteht das Vorurteil (der Glaubenssatz): "Die IT will uns wieder mal das Leben schwer machen". Die typische Reaktion wird sein, dass das Kennwort geändert wird - im System und auf dem Post-it unter der Tastatur. Die Sicherheit der IT-Landschaft wird damit nicht verbessert.

Projekte scheitern, wenn die Akzeptanz fehlt. Akzeptanz kann nur aufgebaut werden, wenn das Projekt auf förderliche Glaubenssätze trifft.

Förderlicher wäre der Glaubenssatz "IT-Sicherheit geht uns alle an" kombiniert mit einem Training "Wie gestalte ich sinnvolle Kennwörter, die leicht zu merken sind?". Ganz konkret können wir in diesem Beispiel mit folgenden Maßnahmen die neue Kennwortrichtlinie unterstützen:

 

  • Aufklärung der Belegschaft (Intranet, schwarzes Brett, Rundschreiben, Lohntüte, ...)
  • Schreiben aus der Geschäftsführung (mit gutem Beispiel voran)
  • IT-Sicherheit laufend thematisieren (Betriebsversammlung, Sommerfest, ...)
  • Gefahren sichtbar machen (zum Beispiel durch Phishing-Simulation)
  • FAQ für sichere Kennwörter veröffentlichen
  • Anwender aktiv am Platz unterstützen

 

Gleichzeitig können wir die Mitarbeiter in ihrer privaten Identität ansprechen. IT-Experten ist bewusst, dass IT-Sicherheit auch bei privaten Geräten wichtig ist. So können wir ein Training für die private IT-Sicherheit anbieten und damit gleichzeitig Verständnis und Akzeptanz fördern.

Dieses Vorgehen lässt sich auf alle Projekte übertragen. In IT-Projekten wollen wir sinnvolles Verhalten maximal erleichtern. Dabei sprechen wir die richtigen Werte der Anwender an.

Klingt für manche nach Manipulation oder Haarspalterei? Zunächst einmal ist jede Form von Kommunikation gleichzeitig auch Manipulation. Wir manipulieren unsere Gesprächspartner die ganze Zeit! Aber das ist nicht der Punkt. Wir wollen den Arbeitsablauf für Anwender erleichtern. Um neue Lösungen gut zu platzieren, müssen wir Benutzer in ihrer Wahrheit abholen. Es gilt, den Vorteil der neuen Lösung für die Anwender darzustellen. Gleichzeitig müssen wir offen mit vorhandenen Vorbehalten umgehen. Die Augen zu verschließen, bringt nichts.

Der Fokus auf die Technik allein reicht nicht aus. Wichtig für den Projekterfolg ist die Akzeptanz der Lösung. Dazu gilt es, die vier Dimensionen Technik, Prozesse, Organisation und Mindset gleichermaßen im Blick zu haben. Das Modell Logical Levels of Change von Robert Dillts hilft uns dabei.

Damit lassen sich unterstützende Maßnahmen für die Projektkommunikation und das Anknüpfen an das richtige Mindset leichter planen. In großen Projekten kann diese Unterstützung auch an Spezialisten - häufig Change Manager - vergeben werden. Wichtig für IT-Experten ist das Erkennen dieser zusätzlichen Dimensionen. Liegt der Fokus lediglich auf der Technik, ist der Erfolg des Projekts zufällig.

Das Workflowprojekt konnten wir erfolgreich zu Ende bringen. Allerdings waren die Aufwände für die erste Phase hoch. Hinzu kam der anfängliche Frust der Anwender. Heute würden wir das Projekt mit der richtigen Kommunikation begleiten. Diese Maßnahmen verursachen zunächst mehr Aufwand, allerdings schaffen wir dadurch früher Mehrwert durch neue IT-Lösungen. Und damit fördern wir auch den förderlichen Glaubenssatz: "IT-Projekte machen unsere Arbeit leichter".

Wer sich tiefergehend zum Thema informieren will, greift am besten auf Bücher zurück. Unsere Leseempfehlungen:

  • Robert B. Dilts, Die Veränderung von Glaubenssystemen
  • Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein, Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt
  • Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken

 

Individuelle Unterstützung zu Themen rund um Job & Karriere gibt Shifoo, der Service von Golem.de - in 1:1-Videosessions für IT-Profis von IT-erfahrenen Coaches und Beratern.

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