Autonomes Fahren: Auf dem Highway ist das Lenkrad los

Auf dem Weg zum autonomen Fahren verfolgen IT-Konzerne und Autohersteller unterschiedliche Konzepte. In einer vierteiligen Artikelserie testet Golem.de aktuelle Prototypen und erläutert Hintergründe.

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Wird der Autobahnpilot aktiviert, kann der Fahrer die Hände in den Schoß legen.
Wird der Autobahnpilot aktiviert, kann der Fahrer die Hände in den Schoß legen. (Bild: Martin Wolf/Golem.de)

Es sind zwei kleine Knöpfe, die das Lenkrad des Audi A7 von dem eines gewöhnlichen Autos unterscheiden. Doch sie ermöglichen bei der Testfahrt auf der Autobahn 39 bei Wolfsburg eine Reise in die Zukunft. Drückt man beide Knöpfe gleichzeitig und nimmt die Hände weg vom Lenkrad, startet der Autobahnpilot des Prototyps. Das Lenkrad fährt leicht ein, ein LED-Band unter der Windschutzscheibe erstrahlt türkisfarben.

Inhalt:
  1. Autonomes Fahren: Auf dem Highway ist das Lenkrad los
  2. Keine Laserscanner auf dem Dach
  3. Wettbewerb um die besten Entwickler

Erstaunlich schnell gewöhnt man sich als Fahrer daran, dass der Wagen selbst blinkt, die Spur wechselt, überholt und automatisch über die Autobahn gleitet. Sind autonome Autos also in wenigen Jahren schon Normalität auf Deutschlands Straßen? Trotz des Hypes um Google-Autos und die Versuche vieler Hersteller sind bis dahin noch viele Hürden zu überwinden. Nicht nur technische, sondern auch politische und juristische.

Das autonome Fahren ist dennoch neben dem Elektroantrieb und den vernetzten Autos das große Zukunftsthema der Autobranche. "Alle deutschen Autos werden autonom fahren", sagte vor kurzem Googles Verwaltungsratschef Eric Schmidt, dessen Konzern die Branche ziemlich aufgescheucht zu haben scheint.

Fünf Automatisierungsgrade

Kein Wunder, dass die deutschen Oberklassehersteller heftig an eigenen Konzepten basteln und versuchen, in wenigen Jahren eigene Modelle auf den Markt zu bringen. Dabei verfolgt Google mit seinen Kugelautos im Vergleich zu BMW, Audi oder Daimler ein revolutionäres Konzept. Die deutschen Hersteller setzen hingegen auf eine schrittweise Evolution ihrer Modellpalette. Nach und nach sollen immer mehr Assistenzfunktionen in die Autos eingebaut werden, die langfristig dem Autofahrer komplett das Fahren abnehmen könnten. Nach Ansicht von Chris Urmson, Chef von Google Car, ein Irrweg. "Auch wenn ich noch so viele Sprünge übe, kann ich damit nicht fliegen lernen. Wir müssen daher etwas anderes machen", sagte er im März 2015 auf der TED-Konferenz.

Aus diesem Grund ist es verwirrend, wenn pauschal von "autonomen Autos" gesprochen wird. Denn darunter werden sehr unterschiedliche Stufen von assistiertem und automatisiertem Fahren verstanden, die von einem wirklich autonomen Fahrzeug zum Teil noch weit entfernt sind. Die deutschen Hersteller und die Bundesregierung unterscheiden daher fünf Automatisierungsgrade: assistiertes, teil-, hoch- und vollautomatisiertes sowie autonomes Fahren. Die US-Straßenverkehrsbehörde NHTSA definierte vier Automatisierungsstufen. Dabei entsprechen die Stufe 1 bis 3 dem deutschen System, während Stufe 4 das vollautomatisierte und autonome Fahren vereint. Das Standardisierungsinstitut SAE hat ebenfalls ein System mit fünf Automatisierungsgraden entwickelt.

  • Golem.de testete den hochautomatisierten A7 "Jack" im Juli auf der Autobahn bei Wolfsburg. (Foto: Martin Wolf/Golem.de)
  • Wird der Autobahnpilot aktiviert, kann der Fahrer die Hände in den Schoß legen. (Foto: Martin Wolf/Golem.de)
  • Der Prototyp gilt als "hochautomatisiert". Solche Fahrzeuge sind in Deutschland rechtlich noch nicht erlaubt. (Grafik: Audi)
  • In den nächsten drei Jahren dürften erste hochautomatisierte Funktionen wie der Staupilot serienmäßig angeboten werden. (Grafik: Audi)
  • Zahlreiche Sensoren sorgen für einen 360-Grad-Rundumblick. (Grafik: Audi)
  • Die Prototypen sind im Kofferraum vollgestopft mit Elektronik, die vor allem zu Auswertungszwecken gebraucht wird. (Foto: Martin Wolf/Golem.de)
  • Die Hersteller nutzen verschiedene Bussysteme wie CAN oder Flexray und eine echtzeitfähige Ethernet-Version. (Foto: Martin Wolf/Golem.de)
  • Das zentrale Steuergerät (zFas) ist bei Audi etwa so groß wie ein Tablet-Rechner. (Foto: Audi)
  • Eine hochauflösende 3D-Videokamera blickt in einem weiten Winkel nach vorne und vier kleine Kameras an der Front und am Heck beobachten die nahe Umgebung. (Foto: Manuel Hollenbach/Right Light Media GmbH)
  • Sehr schnell gewöhnt man sich daran, dass Jack das Überholen übernimmt. (Foto: Martin Wolf/Golem.de)
  • Der Laserscanner deckt einen Bereich von 80 Metern vor dem Fahrzeug ab. (Foto: Martin Wolf/Golem.de)
  • Im Display wird der Pilotmodus angezeigt.  (Foto: Friedhelm Greis/Golem.de)
  • In München testete Golem.de einen Prototypen von BMW und fuhr damit hochautomatisiert über die Autobahn zum Flughafen. (Foto: Friedhelm Greis/Golem.de)
  • Der sogenannte Versuchsträger verfügt ebenso wie Jack über viel Steuerungs- und Auswertungstechnik. (Foto: Friedhelm Greis/Golem.de)
  • Auf einem Bildschirm ist zu sehen, wie die Sensoren die Umgebung wahrnehmen.  (Foto: Friedhelm Greis/Golem.de)
Golem.de testete den hochautomatisierten A7 "Jack" im Juli auf der Autobahn bei Wolfsburg. (Foto: Martin Wolf/Golem.de)

Derzeit bereiten die Konzerne die ersten hochautomatisierten (pilotierten) Serienfunktionen wie den Staupiloten oder einen Parkhauspiloten vor. Damit dürfte in den kommenden drei Jahren zu rechnen sein. Funktionen wie der von Golem.de getestete Autobahnpilot dürften in Deutschland vermutlich erst um das Jahr 2020 oder etwas später serienmäßig angeboten werden. In den USA könnte ein Audi A8 mit einem Staupiloten bereits in zwei Jahren unterwegs sein.

Zehn Sekunden bis zum Eingreifen des Fahrers

Dabei stellt erst das hochautomatisierte Fahren eine neue Qualität für den Straßenverkehr dar. Während beim teilautomatisierten Fahren der Fahrer jederzeit in der Lage sein muss, die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen, gilt das für hochautomatisierte oder pilotierte Autos nicht mehr. Laut Definition erhält der Fahrer dann eine ausreichende Zeitreserve, bevor er eingreifen muss. Das heißt: In einem Zeitraum von etwa zehn Sekunden muss das Fahrzeug in der Lage sein, brenzlige Verkehrssituationen oder den Ausfall von Steuerungs- und Sensorsystemen alleine zu beherrschen. In Notfall fährt der Wagen automatisch auf den Standstreifen.

In Stufe vier, dem vollautomatisierten Fahren, ist das Fahrzeug "in allen Situationen in der Lage, einen risikominimalen Zustand herzustellen", wie es in einem Infopapier des Bundesverkehrsministeriums heißt. Das wirklich autonome Auto kann sogar vollständig ohne Fahrer durch den Verkehr steuern. Eine Vision, die man derzeit am ehesten mit den Kugelautos von Google verbindet, die den öffentlichen Nahverkehr vor allem in den USA revolutionieren könnten. Mit autonomen Stadtautos wird aber erst in 15 Jahren gerechnet. Auch Urmson räumte zuletzt ein: "Es ist hundertmal schwieriger, in einer Stadt zu fahren als auf einer Autobahn."

Leichtes Schlingern irritiert Sensorik

Es liegt nahe, dass sich Hersteller auf diesem fünfstufigen Weg von den einfachen Verkehrssituationen auf hochkomplexe Umgebungen wie dem Stadtverkehr vortasten. Dies ermöglicht es, Sensorsysteme und Steuerungssoftware Schritt für Schritt zu entwickeln und praktische Erfahrungen im Einsatz zu sammeln. Wie schwierig dabei scheinbar einfache Dinge sein können, zeigte uns eine Fahrt mit einem BMW-Prototyp auf der A 9 bei München. Auch dieser Wagen beherrscht bereits das automatische Überholen und kann sogar auf dem Weg zum Münchner Flughafen die richtige Abzweigung nehmen.

Doch bei dem Versuch, an einem leicht schlingernden Lkw vorbeizufahren, war der 5er-BMW auffallend unsicher. Die Steuersysteme interpretierten die Querbewegungen als möglichen Fahrbahnwechsel und stoppten den Überholversuch mehrfach kurz vor dem Lkw ab. Zu berechnen, was der vorausfahrende Fahrer will, ist für einen Computer offenbar nicht trivial. Zumal die drei von uns befragten Hersteller generell darauf verzichten, die Blinker der Fahrzeuge auszuwerten. Entscheidend ist ausschließlich die tatsächliche Fahrzeugbewegung. Auch ein Wired-Reporter berichtete im April dieses Jahres von einer ähnlichen Erfahrung bei einer Audi-Testfahrt: "Kurzzeitig lässt ein taumelnder Lkw den Wagen 'erschreckt' bremsen und einige Zentimeter nach links ausweichen."

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Keine Laserscanner auf dem Dach 
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mnementh 26. Aug 2015

Sorry, Reinigung, Wartung, Vermittlung etc. ist um ein Vielfaches kleiner als der...

Anonymer Nutzer 26. Aug 2015

--------------------------------------------------------------------------------. Bin...

Flasher 26. Aug 2015

Viele Autofahrer brüsten sich damit, dass sie eine "defensive" Fahrweise haben, was aber...

Doedelf 26. Aug 2015

Naja der Markt für Pferdekutschen dürfte in den letzten 100 Jahren auch deutlich...



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