Uploadfilter: Der Generalangriff auf das Web 2.0

Die EU-Urheberrechtsreform könnte Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten stark behindern. Die Verfechter von Uploadfiltern zeigen dabei ein Verständnis des Netzes, das mit der Realität wenig zu tun hat. Statt Lizenzen könnte es einen anderen Ausweg geben.

Eine Analyse von veröffentlicht am
Uploadfilter: Der Generalangriff auf das Web 2.0
(Bild: Pixabay)

Viele Influencer auf Youtube oder Instagram mögen es kaum glauben: Deutschland wurde nicht immer von Bundeskanzlerin Angela Merkel regiert und das Internet war nicht immer so bunt und schrill wie heute. Noch einige Jahre, nachdem Tim Berners-Lee vor 30 Jahren sein Konzept für das World Wide Web formuliert hatte, war es gar nicht so einfach, Inhalte in dieses Netz zu bringen. Mitte der Neunzigerjahre konnte man froh sein, an der Uni über einen kleinen Webspace zu verfügen und per FTP seine HTML-Seiten auf eine kryptische URL wie www.uni-mainz.de/~greif000 oder zedat.fu-berlin.de/~... hochladen zu können. Das änderte sich erst einige Jahre später, als Programmiersprachen wie PHP, Datenbanken wie MySQL und größere Serverkapazitäten das Frontend zum Backend machten. Um die Jahrtausendwende war das Web 2.0 mit nutzergenerierten Inhalten geboren.

Doch dieses Mitmachnetz war nach Ansicht von Rechteinhabern von Anfang an mit zwei Geburtsfehlern behaftet: So konnten sich die Plattformanbieter, die nach und nach ihre Dienste entwickelten, in Europa auf die im Jahr 2000 beschlossene E-Commerce-Richtlinie berufen. Demnach müssen Hostprovider nicht unmittelbar für Urheberrechtsverletzungen oder andere Rechtsverstöße haften. Zum anderen hat sich nie ein hartes Anmeldeverfahren etabliert, mit dem Nutzer eindeutig identifiziert und direkt für Rechtsverstöße verantwortlich gemacht werden konnten.

Web 2.0 profitierte von Providerprivileg

Das kann man den damaligen Gesetzgebern nicht vorwerfen. Denn im Jahr 2000 gab es solche Plattformen wie die Wikipedia, Youtube, Facebook, Flickr, Twitter oder Instagram noch gar nicht. Immerhin war es damals schon einfacher möglich, über Hostprovider wie Strato günstig eine .de- oder .com-Domain zu kaufen und dort seine Inhalte zu veröffentlichen. Während der Provider nicht für die Inhalte haftete, konnte man als zahlungspflichtiger Domain-Inhaber nicht so leicht seine Identität verbergen. Dafür sorgte schon die Impressumspflicht aus dem Telemediengesetz (TMG).

Das Web 2.0 bezieht jedoch ein großen Teil seiner Dynamik daraus, dass auf der einen Seite Plattformen einen technischen Rahmen bereitstellen, Nutzer hingegen anonym oder pseudonym ihre Inhalte veröffentlichen können. Beide Faktoren haben zweifellos dazu beigetragen, dass die Wikipedia aus ihren einfachen Anfängen im Jahr 2001 zu einem gewaltigen Wissensspeicher wachsen konnte. Denn solche Haftungsrisiken wären für kleine Projekte kaum zu tragen gewesen. Die Videoplattform Youtube, die vier Jahr später an den Start ging, profitierte sogar noch ungleich stärker vom sogenannten Providerprivileg. Denn anders als bei der Wikipedia gab und gibt es auf Youtube deutlich mehr Nutzer, die geschützte Inhalte hochladen.

Richtlinie kennt keinen nutzergenerierten Inhalt

Das Providerprivileg war den Rechteverwertern daher schon immer ein Dorn im Auge. An eine Aktualisierung der E-Commerce-Richtlinie hat sich die EU-Kommission jedoch nicht herangetraut. Statt dessen soll nun die neue EU-Urheberrechtsrichtlinie die damaligen Geburtsfehler durch verschärfte Haftungsregeln für bestimmte Arten von Plattformen beseitigen. Allerdings wird daraus, gewollt oder ungewollt, ein Generalangriff auf das Web 2.0.

Was bei der Lektüre des 80-seitigen englischsprachigen Kompromissvorschlags (PDF) auffällt: An keiner Stelle ist dort von nutzergenerierten Inhalten die Rede. Also Inhalten, die von Nutzern selbst erstellt wurden und an denen sie die vollen Urheber- und Nutzungsrechte haben. In Erwägungsgrund 3 ist daher feinsinnig von "user uploaded content" die Rede, also "vom Nutzer hochgeladene Inhalte".

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Implizite Kriminalisierung der Nutzer 
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