Filmkritik Plug & Pray

Wo beginnt der Größenwahn?

Roboter sollen bei der Pflege helfen, Technik soll Menschenleben enorm verlängern - was Technikgläubige als Vision feiern, war für Joseph Weizenbaum ein Graus. Der Dokumentarfilm Plug & Pray beleuchtet die Technikkritik des 2008 gestorbenen Forschers. Außerdem gibt der Film einen Einblick in die aktuelle Robotik.

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Filmkritik Plug & Pray: Wo beginnt der Größenwahn?

Der Traum vom ewigen Leben durch technischen Fortschritt und die radikale Ablehnung von Technik: Diese beiden Extrempositionen zeigt der Filmemacher Jens Schanze in seiner Dokumentation Plug & Pray. Den Fortschrittsglauben vertritt der Futurologe Ray Kurzweil, als Skeptiker tritt der Computerpionier Joseph Weizenbaum auf.

Visionen von Nanobots in der Blutbahn

Kurzweil ist ein glühender Verfechter des Fortschritts. Er glaubt vor allem an künstliche Intelligenz. In gut 20 Jahren würden die Maschinen die Menschen an Intelligenz überholt haben, prognostiziert er. Die Menschen würden mit Maschinen verschmelzen. Dann flitzten zum Beispiel Nanoroboter durch unsere Blutbahnen, die Fehler im Erbgut korrigierten, Arterienverkalkungen entfernten, Viren, Bakterien und Krebszellen zerstörten - und so den Menschen Gesundheit und ein viel längeres Leben bescherten.

Weizenbaum dagegen warnt in dem Film vor solchen Visionen. Bei den Anhängern der künstlichen Intelligenz habe schon immer eine Euphorie geherrscht, die heute auf die Robotik übergesprungen sei, sagt er. Die Wissenschaftler, die an der Entwicklung eines künstlichen Menschen arbeiteten, kümmerten sich nicht um die ethischen Aspekte ihrer Arbeit. Weizenbaum, der Computerpionier, der in den 60er Jahren mit dem Sprachanalyseprogramm Eliza bekanntwurde, begann schon in den frühen 70er Jahren, an der technischen Entwicklung zu zweifeln. In den Jahren bis zu seinem Tod im Frühjahr 2008 wuchs seine Ablehnung der Technikgläubigkeit stetig. Kurzweils Ideen hielt er schlicht für Größenwahn.

Nachdenkliche Forscher

Neben den extremen Positionen Kurzweils und Weizenbaums zeigt Schanzes Film aber durchaus auch Grauzonen. Das Beispiel eines jungen japanischen Entwicklers macht deutlich, dass - anders als von Weizenbaum unterstellt - nicht alle Robotiker von Kurzweils Fortschrittsglauben angesteckt sind. Es reiche nicht aus, Roboter zu bauen, betont der Entwickler, die Robotiker müssten auch über die Folgen ihres Tuns für die Zukunft nachdenken, etwa über die Frage der Verantwortung autonomer Roboter.

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Schanze zeigt in seinem Film auch positive Seiten der Technik, etwa ein von Kurzweil entwickeltes Lesegerät für Blinde. Mehr oder weniger offensichtlich schlägt sich der Filmemacher jedoch auf die Seite der Technikskeptiker und bedient sich dabei durchaus auch suggestiver Mittel.

Suggestive Musik

Er zeigt zum Beispiel Weizenbaum in entspannter Atmosphäre beim Musikhören und untermalt die Szene mit Franz Schuberts Ave Maria. Zu einer Sequenz, die an der Universität von Osaka spielt, zeigt er dagegen Bilder einer mehrstöckigen Stadtautobahn sowie einen Plan für eine Roboterstadt und lässt dazu bedrohliche Synthesizer-Musik erklingen.

Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Auftritt von Hiroshi Ishiguro, einem japanischen Robotiker, der als Konstrukteur humanoider Roboter bekanntgeworden ist. Zu diesen gehören der nach dem Bild einer jungen Frau modellierte Geminoid F und der recht unheimliche Telepräsenzroboter Telenoid R1. Eine Einstellung zeigt Ishiguro mit seinem robotischen Selbstporträt. Ein Mitarbeiter kommentiert aus dem Off, das sei widerlich, er bekomme bei dem Anblick eine Gänsehaut.

Medizinische Nanobots und iCub

Der 91 Minuten lange Film besteht weitgehend aus Interviewsequenzen. So bekommen die Protagonisten die Möglichkeit, ihre Arbeit vorzustellen und ihre Positionen darzulegen. Sie sind nicht synchronisiert, die fremdsprachigen Passagen sind untertitelt. Die Interviewpartner sind gut ausgewählt, und so bietet Plug & Pray Zuschauern einen zwar nicht ganz unvoreingenommenen, aber interessanten Einblick in die Robotikszene und stellt einige von deren Protagonisten vor: Giorgio Metta von der Universität im italienischen Genua etwa, der mit iCub einen humanoiden Roboter entwickelt, der wie ein Kind lernen soll. Oder Neil Gershenfeld vom Media Lab des Massachusetts Institute of Technology, der Nanobots für medizinischen Anwendungen entwickelt.

Plug & Pray von Jens Schanze kommt am 11. November 2010 in die Kinos.

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y.m.m.d. 08. Nov 2011

Man kann auch Arbeiten ohne dass man dazu gezwungen ist, so gibt es zum Beispiel ein...

ayo 22. Dez 2010

lasst diese nein-sager doch glauben was sie wollen..diese technikfeindliche menschen sind...

Anonymer Nutzer 11. Nov 2010

Dazu müsste es nur wieder Zusammenhalt in den Familien geben. Mehr Perspektiven zur...

Anonymer Nutzer 11. Nov 2010

Verschließen ist etwas anderes als Nachdenken und Selbstkritik gegenüber allem neuen. Nur...



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