Interview: Web 2.0 verändert die Gesellschaft fundamental

Golem.de im Gespräch mit Duane Nickull, Senior Technology Evangelist bei Adobe

Duane Nickull ist "Senior Technical Evangelist" bei Adobe und kümmert sich um Unternehmenslösungen in den Bereichen SOA und Webservices sowie Web 2.0. Golem.de sprach am Rande der Web 2.0 Expo in Berlin mit ihm darüber, was Web 2.0 eigentlich ausmacht und wozu wir proprietäre Plattformen wie AIR (Adobe Internet Runtime) brauchen.

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Duane Nickull war an der Entwicklung diverser SOA-Standards beteiligt und sitzt derzeit dem "OASIS Service Oriented Architecture Reference Model Technical Committee" (SOA-RM TC) vor. Zudem war er in verschiedenen Rollen für die Vereinten Nationen tätig, wo er unter anderem für deren Electronic-Business-Strategie verantwortlich war. Zusammen mit Dion Hinchcliff und James Governor schrieb Duane Nickull in diesem Jahr das Buch "Web 2.0 Design Patterns - What entrepreneurs and information architects need to know", das im Dezember 2007 bei O'Reilly erscheinen soll. Unter technoracle.blogspot.com veröffentlicht Nickull sein privates Blog.

Golem.de: Ihren Worten zufolge werden die sozialen Auswirkungen des Web 2.0 den größten Einfluss auf die Menschen in der Europäischen Union haben. Was bedeutet das?

Nickull: Das Web 2.0 wirkt sich fundamental auf alle Aspekte der Gesellschaft auf diesem Planeten aus. Es beeinflusst, wie Menschen ihr Geld ausgeben, wie sie Informationen austauschen und wie in Zukunft gewählt wird. Stellen sie sich beispielsweise vor, dass eine Information, auf die sie innerhalb von zehn Minuten reagieren müssen, weil sie sonst Geld verlieren, jeden im gleichen Moment erreicht. Ein solches Ereignis könnte die Grundfesten der Gesellschaft erschüttern, die Menschen dazu bringen, ihre Arbeitsplätze zu verlassen. So etwas konnte man in der Vergangenheit beispielsweise bei großen Einbrüchen der Aktienmärkte beobachten. Dieses System, in dem Menschen über die gleichen Informationen verfügen, einen Trend erkennen und die gleichen Schlüsse ziehen, erreicht nun das World Wide Web.

Duane Nickull (Foto: Matt MacKenzie)
Duane Nickull (Foto: Matt MacKenzie)

Jemand, der heute ein Held ist oder gemocht wird, kann am nächsten Tag gehasst werden. Es ist wichtig, dies zu verstehen. Vor allem in Nordamerika konnte man sehen, wie Menschen diese Möglichkeiten nutzen, um in kurzer Zeit etwas sehr sehr Großes aus dem Nichts aufzubauen. Es gibt überall auf der Welt Fernsehstationen, aber dennoch hat YouTube innerhalb von drei Jahren die größte Videosammlung der Welt aufgebaut - ein klares Zeichen dafür, dass etwas Neues geschieht, das Einfluss darauf hat, wie wir mit der Gesellschaft umgehen. Ich habe einen 16-jährigen Sohn, der sich mit seinen Freunden immer häufiger YouTube-Video ansieht, da ihnen die Inhalte besser gefallen als die im Fernsehen. Das ist eine große Veränderung, die sich darauf auswirken wird, in welcher Form künftig Geld in Werbung fließt. Und dies ist nur ein Aspekt des Ganzen, das zahlreiche weitere Aspekte aufweist.

Golem.de: Aber was meinen Sie überhaupt, wenn Sie von Web 2.0 sprechen?

Nickull: Gute Frage, denn es ist unsinnig, über Web 2.0 zu sprechen, ohne dass wir uns auf eine Definition von Web 2.0 einigen. Ich betrachte Web 2.0 als eine Sammlung von so genannten "Design Patterns" (Entwurfsmustern) und habe dazu gerade zusammen mit Dion Hinchcliffe und James Governor ein Buch bei O'Reilly fertiggestellt ("Web 2.0 Design Patterns"), nachdem wir uns dem Thema im Rahmen eines Forschungsprojekts gewidmet haben. Entwurfsmuster in der Software-Architektur oder Architektur im Allgemeinen sind sich wiederholende Lösungen für wiederkehrende Probleme. Ein Beispiel ist der Bau von Gebäuden: Hier besteht das Muster aus einem Unterbau, auf dem das Gebäude steht, Wänden, die die äußeren Grenzen darstellen, Türen, um das Gebäude zu betreten und zu verlassen sowie einer Decke, die uns schützt. Dieses Muster kann für ein Konferenzzentrum ebenso genutzt werden wie für eine Schule, einen kleinen Imbiss am Straßenrand, eine Tankstelle oder ein Wohnhaus.

Das Web 2.0 ist im Grunde eine Ansammlung neuer Design Patterns oder Architektur-Muster, die von Milliarden Menschen angewendet werden, unabhängig davon, in welchem Geschäftsbereich sie tätig sind. Nehmen wir das Beispiel Bücherkauf: In der Vergangenheit wurden Bücher in der Buchhandlung gekauft und mit Freunden beim Essen oder einem Kaffee über das Buch gesprochen und Tipps für andere gute Bücher ausgetauscht. Amazon hat dieses Muster aufgegriffen und in der elektronischen Welt implementiert. Das Web 2.0 besteht nun aus zahlreichen weiteren Mustern dieser Art.

Eine Definition ist dennoch schwierig, denn wie lässt sich ein Muster etwas zuordnen, das zuvor nicht definiert wurde? Das ist ein Henne-Ei-Problem. In unserem Forschungsprojekt haben wir uns verschiedene Muster angesehen, die sich unumstritten als Web 2.0 bezeichnen lassen. Letztendlich hatten wir 12 bis 15 wiederkehrende Muster identifiziert, die immer wieder auf unterschiedliche Art und Weise angewandt werden.

Wir haben auch Gemeinsamkeiten zwischen diesen Mustern gefunden, die dazu geführt haben, dass sich ein neues Grundmodell entwickelt hat, das sich vom alten Client-Server-Modell unterscheidet, einen evolutionären Schritt weitergeht. Im Client-Server-Modell des vergangenen Jahrzehnts platzierte man Informationen auf einem Webserver, von dem sie abgefragt werden konnten. Und das war es dann. Das neue Modell ist deutlich robuster. Es entsteht aus einer Migration der Architektur in eine so genannte "Service Oriented Architecture" (SOA). Das ist keine Einbahnstraße mehr, nicht nur Frage und Antwort. Vielmehr werden die Nutzer eingebunden, können sich direkt beteiligen. Der Unterschied wird deutlich, wenn man eine Website mit einem Blog vergleicht. Bei Ersterem handelt es sich um Einweg-Publishing, beim anderen geht es um Partizipation und Zusammenarbeit. Darum geht es beim Web 2.0, aber es gibt keine Spezifikation, die sagt, was Web 2.0 oder Web 1.0 ist. Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem das Web 1.0 aufhörte zu existieren und das Web 2.0 in Erscheinung trat. Wir sprechen eher über ein abstraktes Gebilde.

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kriemhild 21. Nov 2007

unter dem begriff "web2.0" werden gesellschaftliche strömungen der medialen welt...

n00B 15. Nov 2007

Ja stimmt schon, ich meinte das auch eher in dem Sinne, der sog. P2P Programme wie skype...

Szczepan 15. Nov 2007

Wenn diese Entwicklung angeblich neue Werte definiert, dann kommt der Verstand wieder...

Micha2 15. Nov 2007

So wird das auch mit dem "Web 2.0" sein. Ich schlage mich seit ca. 7 Jahren durch Foren...



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